Äquator

Der Abschied von den netten Jungs aus Anas Homestay fällt mir nicht leicht, auch wenn ich schon darauf freue, auf dem Markt frische Früchte zu kaufen, und damit etwas Abwechslung auf den Speiseplan zu bringen. Bereits eine halbe Stunde nachdem ich die simple Hütte im Wald in Richtung Tal verlassen hatte, stehe ich inmitten Reisfelder, und die ersten Siedlungen sind zu sehen. Bis nach Bayur, das an der Uferstraße zu Maninjau liegt, vergeht noch mal eine halbe Stunde. Die drei Kilometer bis Maninjau werde ich von drei jungen Mädchen begleitet, die auf dem Weg in die Schule sind. Kurz vor dem Ort wäre noch die Möglichkeit, sich im warmen Wasser eines Badehauses zu aalen, doch mir bleibt dafür keine Zeit, denn ich will um Zwölf eine besondere Frau anrufen - die, der ich diese Zeilen gewidmet habe.

So schön es am Danau Maninjau auch gewesen wäre, habe ich mich nicht zuletzt deswegen dazu entschlossen diesen Ort zu verlassen, weil gestern Abend einige Holländer in das direkt am See liegende Losmen gekommen sind, und dieses in eine Disco umfunktionierten. Ein weiterer Grund dafür ist wohl, dass mir nur noch zwei Wochen bis zu meinem Heimflug bleiben, und ich in dieser Zeit noch einige interessante Orte besuchen will.

Heute habe ich bereits um halb Sieben ein erfrischendes Bad im See genommen, und bei Banana- Pancace, Papaya und einem Kaffee, die Ruhe des Morgens genossen. Einige Fischer sind mit ihren Einbäumen auf den See hinausgefahren, und werfen ihre Netze aus, während sich die Wälder in immer neuen Farbnuancen zeigen, und eine kühle Brise die tropische Hitze vergessen lässt. Es wäre durchaus ein Fleckchen, an dem man einige Tage verweilen könnte, ganz im Gegensatz zu dem Hotel, wo ich mich im Augenblick befinde.

Nachdem ich noch einiges in der Stadt erledigte, habe ich einen Bus nach Bukittinggi genommen. Das Gefährt ist mal wieder völlig überfüllt, und ich zwänge mich zwischen die bereits im schmalen Gang stehenden Einheimischen. Der Motor ächzt und stöhnt, als er die Fuhre durch 45 enge Kehren den Berg hinauf karren muss, wobei es ihn wenig interessieren wird, welch phantastische Ausblicke sich an manchen Stellen auf den See und die zahllosen Reisfelder darbieten. Eineinhalb Stunden später befinde ich mich in einem ausnahmsweise nicht vollen Bus in Richtung Norden. Hier habe ich zum ersten Mal den Eindruck, in Sumatra zu sein, so wie es sich wohl die Meisten vorstellen. Auf schmalen Straßen fahren wir durch Täler und tiefe Schluchten, durch die reißende Ströme fließen. Viele Hänge sind einfach zu steil, um sie landwirtschaftlich zu nutzen, und deshalb noch mit primärem Regenwald bedeckt.

Nach zwei Stunden überqueren wir nördlich von Bonjol den Äquator. Ein weiterer Grund, warum mir heute die Gegend hier dem Klischee von Sumatra so nahe kommt, ist wohl auch der einsetzende Regen. Er lässt die ohnehin schon hohe Luftfeuchtigkeit noch weiter ansteigen, und die Scheiben des Busses beschlagen. Er verbreitet aber auch zugleich einen unbeschreiblichen, intensiven, süßen Duft, der mich an einen Zimt- Milchreis und verschiedene Gewürze erinnert. Eine weitere Stunde später erreiche ich Panti, wo sich gleich am Anfang der kleinen Ortschaft ein Rastplatz mit einem Warung befindet, in dem ich zuerst mal was essen will. Was, ist nicht schwer zu erraten, und ich frage mich, ob die Leute hier nicht zu wenig Vitamine zu sich nehmen, obwohl sie wegen ihrer pausenlosen Raucherei doch einen erhöhten Bedarf darin hätten. Wahrscheinlich gibt es die vielen verschiedenen Früchte, die hier wachsen, nur Zuhause, denn in den Warungs und Rumah Makans werden sie nicht angeboten. Außer dem Schild vor dem Rumah Makan, auf dem “Hotel???” steht, ist mir noch was aufgefallen. Ich habe hier auf Sumatra wirklich noch keinen Einheimischen in der Öffentlichkeit getroffen, der Bier oder irgend eine Art von Alkohol trinkt, ganz im Gegensatz zu Malaysia, das ja auch überwiegend moslemisch ist, und wo an manchen Orten bereits am Nachmittag die Tische in den Warungs mit leeren Bierflaschen belegt waren.

Irgendwo draußen dröhnt laute indonesische Pop- Musik zu mir ins Zimmer, deren Einrichtung aus einem Doppelbett, einer winzigen Holzbank, und einer Glühbirne besteht. Das Mandi ist im Gang, und lädt nicht gerade zu einem Besuch ein, wobei der modrige Geruch, der im Ganzen “Hotel” festzusitzen scheint, sein übriges dazu beiträgt. Immer wieder rauschen Lkws vorbei, während sie an einem defekten Bus in der Dunkelheit, im Schein einer Taschenlampe, irgendwo im Motorraum rumhämmern. Was soll’s! Sink ken-ken! Die zwei Nächte, die ich hier bleiben will werde ich schon überstehen.

Meiner Meinung nach sollte man dem Äquator doch etwas mehr Beachtung schenken, und weil es gestern, als ich zum ersten mal auf dem Landweg den Äquator überquerte, so stark regnete, habe ich mich entschlossen, heute noch mal die Stunde Busfahrt auf mich zu nehmen, und zurück nach Bonjol zu fahren. Zuvor bin ich noch zu den Air Panas gelaufen, von denen mir gestern jemand erzählte, und die sich etwa einen Kilometer südlich von Panti befinden. Direkt neben der Straße liegt ein kleiner Park, wo man eigentlich Eintritt bezahlen müsste, jedoch ist die Ticketbox verlassen, und es hat den Anschein, als wäre sie schon seit längerem nicht mehr besetzt gewesen. Skurril verwundene Bäume und Lianen ergeben zusammen mit den leicht nach Schwefel stinkenden Dämpfen im Morgenlicht eine geheimnisvolle, mysteriöse Stimmung. An einem Baum ist ein Schild angebracht, das darauf hinweist, dass die Temperatur des Wassers mehr als 100 °C beträgt. Deshalb ist etwas Vorsicht angebracht, und man sollte die befestigen Wege besser nicht verlassen, denn der Untergrund hier ist sehr schlüpfrig und nicht tragfähig.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kommt man nach 200m zu einem Badehaus, das einen ähnlichen Eindruck auf mich macht wie jenes von Sungai Penuh. Auch hier ist alles verlassen und verfällt zunehmends, auch wenn diese Anlage noch in einem besseren Zustand ist. In einem kleinen Pool, der seit längerer Zeit nicht mehr gereinigt wurde und bereits mit Ablagerungen bedeckt ist, badet ein alter Mann, aber ansonsten ist weit und breit niemand zu sehen. Dieser kann mir aber immerhin durch Gestik verdeutlichen, dass gleich nebenan ein Weg in den Dschungel führt. Auf hohen Stufen geht es steil hinauf in den Urwald, und nur die Geräuschkulisse der Lastwagen und lauten Mopeds von der Straße wirkt etwas störend. Es war wohl als Erholungspark gedacht, was auch an den Mengen von Abfall zu erkennen ist, aber auch hier wird der angelegte Pfad immer mehr von der Natur zurück erobert. Entgegen meinen Erwartungen kann ich hier neben den vom Menschen verursachten Geräuschen auch unzählige, mir unbekannte, Rufe von Tieren wahrnehmen, und eine Affen Familie turnt in der kühlen Morgenluft auf den mächtigen Urwaldriesen herum.

Nachdem ich etwas mehr als eine Stunde eingequetscht in einem Bus stand, überquerten wir den Äquator, und ich habe noch nicht einmal einen Fuß auf den Asphalt gesetzt, als auch schon drei Männern um mich herumstanden, die mir Souvenirs, Postkarten und T-Shirts andrehen wollen. Vor ein paar Jahren hat hier alles noch etwas anders ausgesehen. Da stand neben der schmalen Straße nur ein steinerner Globus auf einem Sockel, der auf die Überschreitung des Äquators hinwies, wo sich heute ein mächtiger Übergang mit der Werbung einer Bank, und ein unscheinbarer, grüner, eingewachsener Globus aus Metall befindet. Der kleine steinerne Globus von einst hat nun einen Platz in der Nähe des neu errichteten Museums gefunden, in das ich mich auch verziehe, um dem Ansturm der Händler zu entkommen. Im Museum befinden sich historische Waffen, Kanonen, Steinschleuder, Gewänder, Uniformen und andere Gegenstände aus der Ära der Padri- Kriege (1821 bis 1838). Der religiöse und militärische Führer war Tuanku Iman Bonjol, der 1837 von den holländischen Truppen gefangen genommen und zuerst nach Ambon dann nach Manado ins Exil geschickt wurde. In der neuen indonesischen Geschichtsschreibung gilt er als einer der ersten Nationalhelden, die gegen die Kolonialmacht gekämpft haben.